Recht und Diversität – Europäische und lateinamerikanische Erfahrungen aus rechtshistorischer Perspektive
Forschungsprojekt
Die Spannungen zwischen Gleichheit und Ungleichheit als Gerechtigkeits- und Verteilungsprinzipien sowie zwischen allgemeiner und Einzelfallgerechtigkeit dürften zu den Grunderfahrungen jeder normativen Ordnung zählen. Sie haben ihre Konjunkturen. Die Rechtsgeschichte zeugt davon – und von immer neuen Versuchen, diese Spannungslagen durch institutionelle Arrangements und besondere Schutzregime aufzuheben. Unser europäisches Rechtssystem beruht auf dem Prinzip der Gleichheit. Doch wird heute wieder verstärkt danach gefragt, wie dieses gleichheitsbasierte System auf die zunehmenden Forderungen reagiert, individuelle und kollektive Sonderlagen stärker zu berücksichtigen. Ebenso ist das Gleichheitspostulat Bestandteil der lateinamerikanischen Rechtstradition. Aber auch hier zeigen sich Spannungen – oft in anderer und zum Teil in schärferer Ausprägung.
Diese Problemlagen werden in der Debatte um kulturelle Diversität thematisiert, aber auch im Kampf um Differenzierungen ökonomischer und sozialpolitischer Natur. Zum Teil werden ganz konkrete Veränderungen im materiellen Recht oder im Verfahrensrecht gefordert. Nicht selten wird aber gezweifelt, ob und wie lange unser gleichheitsbasiertes Rechtssystem überhaupt in der Lage ist, diesen Herausforderungen zu entsprechen, ohne sich in seinen Grundstrukturen selbst zu verändern. Dies beschreibt jedoch nur eine allgemeine Konstellation. Die gesellschaftlichen Dimensionen, in denen das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Ungleichheit auftrat, und die rechtlichen Lösungen oder Lösungsversuche, die es hervorbrachte, waren von Land zu Land unterschiedlich. In dem Workshop- und Publikationsprojekt "Recht und Vielfalt - Europäische und lateinamerikanische Erfahrungen aus rechtshistorischer Perspektive", das die Rechtsentwicklung der letzten zwei Jahrhunderte beobachtet, sollen Beiträge aus verschiedenen europäischen und lateinamerikanischen Ländern diese Vielfalt verdeutlichen und zugleich einen Vergleich ermöglichen. Diesem Zweck dienen Workshops, in denen die verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Auf dieser Grundlage werden Sammelbände zu folgenden Themenbereichen herausgegeben: Grundfragen, Öffentliches Recht, Zivilrecht, Strafrecht.