Die Verhandlung der Ordnung. Die Betriebsräte in der Weimarer Republik

Promotionsprojekt

Die tiefgreifende Veränderung der Arbeitswelt hat zuletzt auch neue historische Suchbewegungen ausgelöst, die sich mit der Geschichte der Mitbestimmung in der Wirtschaft befassen. Sie eint häufig eine Krisenanalyse, die von einer Erosion der von ihnen unterstellten demokratischen Betriebsverfassung ausgeht. So kam es in den letzten Jahren zu einer Renaissance des Interesses für die diversen Formen einer wie auch immer konkret gefassten (Re-)Demokratisierung oder (Re-)Humanisierung der Arbeitsbeziehungen.

Es fällt auf, dass für die nicht-historische Forschung immer wieder neue Methoden und Ansätze angewandt wurden, die von der historischen Mitbestimmungsforschung für die Zeit vor 1933 kaum aufgegriffen wurden, zumal sich auch die historische Mitbestimmungsforschung heute vor allem mit der Zeit nach 1945 beschäftigt. So sehr das einen Grund in der besseren Quellenlage hat, so wenig liegt es an einer etwaigen „Ausgeforschtheit“ der betrieblichen Mitbestimmung in der Weimarer Republik. Im Gegenteil erstaunt eher das Fehlen von Untersuchungen zu den Anfängen der Betriebsräte, die sich auf der Mikroebene des Betriebs bewegen. Das Dissertationsprojekt zu den Betriebsräten der Weimarer Republik soll dort ansetzen, indem es in Form einer betrieblichen Tiefenbohrung die Praxis der Betriebsverfassung in einem Unternehmen der Metallindustrie im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland untersucht. In der Weimarer Republik ging der Auftrag explizit an die nicht-staatlichen Akteure, die Tarifpartner auf der Mikro- und Mesoebene, die Arbeitsbeziehungen kollektiv im Rahmen staatlicher Regulierung selbst zu regeln.

Die Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung kann dabei nicht einfach ausgehend von dem Betriebsrätegesetz (oder anderen gesetzlichen Regelungen) untersucht werden, sie muss auch als Prozess einer Normenausgestaltung auf der Ebene des Betriebs gedacht und untersucht werden, an dem mehrere insbesondere nicht-staatliche Akteure beteiligt sind. Das Forschungsprojekt trägt damit auch zu neuen Erkenntnissen in rechtshistorischen Fragestellungen bei, die im Rahmen des Forschungsfeld Sonderordnungen im Projekt „Nichtstaatliches Recht der Wirtschaft“ gestellt werden. Ein weiteres Ziel des Projektes ist der Aufbau einer digitalen Quellensammlung. Dies ermöglicht, die Ergebnisse der Tiefenbohrung in einen breiteren Kontext zu stellen, mithin der vertikalen Untersuchung eine horizontale hinzuzufügen. Zugleich wird die Edition mit den zahlreichen bei der eigenen Recherche gehobenen normativen Quellen erweitert.

Der Betrieb als gewählte Untersuchungseinheit ist dabei nicht bloß die Arena außerbetrieblicher Konflikte und von entlang kapitalistischer Strukturmerkmale vermittelten Auseinandersetzungen. Dennoch läuft anders als bei den meisten anderen Organisationstypen der Moderne die Klassenlinie mitten durch dieses soziale Beziehungsnetzwerk „Betrieb“ hindurch, das von einem ambivalenten Spannungsverhältnis von Kooperation und Zwang geprägt ist. Wenn man von einer grundsätzlichen Konflikthaftigkeit betrieblicher Produktion ausgeht, dann ist die Frage nicht, ob betriebliche Konflikte reguliert wurden, sondern wie. Das deutsche Modell des dualen Systems der Interessenvertretung stellt dann vielmehr eine Variante innerhalb der Varieties of Capitalism der Ausgestaltung industrieller Beziehungen dar, keine Ausnahme. Das legen auch die komparativen und globalen Studien nahe, die die Multinormativität historischer und gegenwärtiger Konstellationen industrieller Beziehungen eindeutig aufzeigen.

In dem Dissertationsprojekt soll anknüpfend an das praxeologische Verständnis des Betriebs als sozialem Handlungsfeld und das Konzept der betrieblichen Fallstudie die Praxis der Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen in drei verschiedenen Regionen Deutschlands im Unternehmen GHH/MAN untersucht werden. Die Gutehoffnungshütte war ein großer, über eine Zentrale vermittelter, aber aufgegliederter und dezentral strukturierter Konzern mit den regionalen Schwerpunkten Westfalen und Bayern. Als Quellen dienen Betriebsratsprotokolle, konzerninterner Schriftverkehr, Arbeitsordnungen sowie unternehmensinterne Statistiken und betriebswirtschaftliche Überlieferung. Außerdem sollen weitere externe Quellen punktuell herangezogen werden.

Zur Redakteursansicht