Recht und Mission
Forschungsprojekt
Das Projekt folgt der Frage nach den wechselseitigen Zusammenhängen von Mission und Rechtsentstehung. Dabei konzentriert es sich auf das erste Jahrtausend und verwendet einen weitgefassten Normenbegriff ebenso wie ein offenes Konzept von Mission. Denn abseits der Problematik, was Recht und normatives Wissen eigentlich sind, erscheint wesentlich komplizierter eine Aussage, was Mission sei – eine a priori gegebene Veranlagung des Menschen, individuell oder institutionell verstandene Überzeugungen, Verhaltensweisen und technische Praktiken zu verbreiten sowie als ‚minderwertig‘ Eingeschätztes zu überwinden?
Das Projekt will gerade keine (weitere) Missionsgeschichte schreiben. Es wird nicht um „Recht und Christianisierung“ gehen, sondern um die Frage nach dem Kontext von Motivation und Wirkung missionierenden Verhaltens auf die Genese von Normen, der gegenseitigen, nicht immer konfliktfreien Beeinflussung von epistemischen Gemeinschaften und der Analyse solcher dynamischen Prozesse.
Es stellt sich die Frage nach den Beweggründen: Warum fühlen sich manche Menschen zur Mission bei anderen berufen? Für das Individuum mag diese Frage, zumal für so ferne Zeiten wie das erste Jahrtausend, kaum zu beantworten sein. Gerade die individuelle Vergangenheit von Menschen einer sich im Laufe der Zeit mehr und mehr kollektivierenden Historie im Referenzrahmen von Erinnerung und Vergessen können heute nicht mehr erfasst werden. Für das Individuum gibt es einen institutionell beziehungsweise sozial verbindlichen Handlungsrahmen innerhalb seiner gesellschaftlichen Umgebung, den sozialen Individuen, was seine Handlungen allerdings nur dann vorhersagbar, oder besser: erklärbar, machen würde, wenn diese formenden Bedingungen bekannt wären. Auch dies ist in letzter methodischer Konsequenz ein Quellenproblem.
Das Projekt Recht und Mission bewegt sich im manchmal sogenannten „Ersten Mittelalter“, da es seinen Untersuchungszeitraum mit der beginnenden Auseinandersetzung zwischen dem Papsttum und den deutschen Königen in ihrer Funktion als römische Kaiser ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts enden lässt, die zugleich wegen des aufkommenden gelehrten – römischen – Rechts in Bologna und dessen bewusste Beeinflussung im Denkstil durch die zeitgenössischen scholastischen Methoden auch als Beginn eines zweiten, gleichsam ‚moderneren‘ Mittelalters gesehen wird. In der Philosophiegeschichte markiert dieser Zeitraum ebenso eine Wende, da das Aufkommen der Universitäten zur Verbreitung der durch Anselm von Canterbury (1033-1109) vorbereiteten scholastischen Methode führte.
Um das Phänomen des Zusammenhanges von abstrakten Normen und praktischer Überzeugung in einem menschheitsgeschichtlichen Kontext verorten und angemessen analysieren zu können, müssen gleichsam präliminare kulturhistorische Fragen aufgeworfen und berücksichtigt werden. So werden Migrations- beziehungsweise Missionsgeschichten vor dem Christentum einbezogen, um die ‚anthropologische Konstante‘ (das dem Menschensein inhärente) an der Ausbreitung von Wissen und Glauben als überzeitlichen Faktor zu erfassen. Ein Schwerpunkt liegt ebenso auf der Verbindung archäologischer und schriftlicher Quellen als Indikatoren für die Ausbreitung kultureller Praktiken.
In dem Forschungsprojekt sollen diese Wechselbeziehungen zwischen Mission und Recht in Europa im Mittelpunkt stehen, ohne jedoch Epochenbegriffe absolut zu setzen. Es wird sowohl der interkulturelle Vergleich angestrebt als auch der Versuch, mit einem diachronen Zugriff die Ergebnisse mit den Forschungen zu Recht und Mission in der frühneuzeitlichen Kolonialisierung der Iberian Worlds in Verbindung zu setzen.
Das Projekt widmet sich der Christianisierung Europas unter verschiedenen Gesichtspunkten. Einerseits werden die Ausbreitung und Etablierung der christlichen Religion von ihren Anfängen in Europa unter meist historischen Aspekten bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts dargestellt, andererseits wird die Frage behandelt werden, welche Voraussetzungen für Erfolge und Misserfolge erkannt werden können und welche ‚Begleiterscheinungen‘ kultureller beziehungsweise normativer Art damit einhergehen. Hierzu müssen auch die weitgefassten interdisziplinäre Methoden der modernen Forschung über die Mediävistik hinaus erörtert und beurteilt werden. Der unter anderem anzuwenden rechtshistorischen Zugangsweise ist es beispielsweise geschuldet, den Investiturstreit und die Entstehung der europäischen Universitäten als historischen Endpunkt festzusetzen.