Autographen und Autorenexemplare der mittelalterlichen Juristen

Forschungsprojekt

Die Forschung zur juristischen Literatur des Mittelalters kann zu neuen Ergebnissen gelangen, wenn sie unter dem Gesichtspunkt der Beziehung zwischen Text- und Buchproduktion den institutionellen Rahmen und die Technik der Entstehung und Verbreitung der Texte berücksichtigt. Denn der Weg vom Konzept zum Autorenexemplar (das nicht unbedingt eigenhändig ist) und vom Autorenexemplar zur Veröffentlichung lässt sich öfter als erwartet rekonstruieren.

Für bedeutende literarische Autoren aus der Mitte sowie der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts – wie zum Beispiel Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio – hat die Forschung Autografen und Autorenexemplare ihrer Werke identifiziert und in den letzten Jahrzehnten eingehend untersucht. Eine solche Behandlung blieb den Werken der meisten Juristen dieser Epoche bisher versagt, obwohl gerade für die Juristen zahlreiche und sichere autografische Belege in den Unterzeichnungen der Consilia erhalten sind. Die Originale der Gutachten wurden nämlich mit den Wachssiegeln der Unterzeichnenden als Brief versandt. Diese können es ermöglichen, die Handschriften eines Autors, auch von exegetischen Werken, auf der Grundlage einer paläografischen Expertise zu identifizieren, und ein Projekt über Autographen der Juristen im Hinblick auf die Textgeschichte zu entwickeln.

Zu den wichtigsten Ergebnissen, die im Rahmen dieses Projekts erlangt wurden – auf die Autographen von Baldus de Ubaldis wird unter dem entsprechenden Projekt hingewiesen – zählt die Identifizierung des Autorenexemplars des Speculum iudiciale von Guillelmus Durantis († 1296). Es handelt sich um eine Abschrift, die für den Autor angefertigt und mit zahlreichen und umfangreichen eigenhändigen Randzusätzen versehen wurde, die die letzte Fassung des Textes darstellen. Diese Handschrift – als bisher einziges bekanntes Beispiel eines juristischen Werkes – wurde für die Herstellung der peciae einer Vorlagenhandschrift (exemplar) an der Universität Bologna benutzt (vgl. Ius Commune 23; Juristische Buchproduktion 2002). In diesem Zusammenhang ist auch die Entdeckung einiger eigenhändiger Texte des berühmten Kanonisten Johannes Andreae (Kommentare zu Dekretalen in einer frühen Textversion, vor 1317, HS Cesena, Biblioteca Malatestiana, S.II.3; vgl. Ius Commune 24) zu erwähnen. Darüber hinaus wurde in einer Handschrift aus der Bibliothek von Baldus de Ubaldis das Autograph des Tractatus Tyberiadis von Bartolus de Saxoferrato identifiziert (vgl. Ius Commune 25). Diesem und eigenhändigen Consilia des Bartolus wurde jüngst eine Untersuchung gewidmet, die auf das Schicksal der Bibliothek des Autors, unter dem Gesichtspunkt der Verbreitung seiner Werke, fokussiert (vgl. La biblioteca di Bartolo, 2014).

Die Frage der Textualität im Zusammenhang mit der Praxis der Textproduktion durch die Autoren, in den verschiedenen Epochen der juristischen Literatur, wurde in einem Beitrag ("A proposito di autografi", 2008) aufgeworfen, der philologische Aspekte der kritischen Bearbeitung von juristischen Werken des Hoch- und Spätmittelalters in den Vordergrund stellt und noch offene Fragen der Textkritik diskutiert. Dabei konnte eine Bilanz der Ergebnisse der Forschung aus den letzten Jahren gezogen werden, die überwiegend am MPIeR vorangetrieben wurde.

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