Deutsch-jüdisches Rechtsdenken im Völkerrechtsverständnis der Zwischenkriegszeit
Promotionsvorhaben
Der Einfluss deutsch-jüdischer Juristen auf das Völkerrecht ist in den letzten Jahrzehnten mehrfach untersucht und beantwortet worden. Die meisten Ansätze konzentrieren sich auf die Besonderheit der jüdischen Erfahrung, um zu erklären, warum viele Juden das Völkerrecht als Disziplin wählten und wie diese Erfahrung ihre Arbeit und ihr Denken im Völkerrecht beeinflusste. Da sie sich auf die Zeit während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach konzentrieren, reduzieren diese Ansätze die jüdischen Erfahrungen auf die Faktoren Migration, Exil und Verfolgung. Die jüdische Erfahrung in den deutschsprachigen Ländern, insbesondere in der Zwischenkriegszeit, kannte jedoch auch die positive Seite einer blühenden jüdischen Kultur, die die Suche nach einer neuen jüdischen Identität einschloss. Gegen die Generation ihrer assimilierten Eltern aufbegehrend, versuchten junge Juden, die Eigenheiten ihres jüdischen Erbes anzunehmen und eine neue moderne jüdische Identität zu schaffen, die weder assimiliert noch streng orthodox war. Eine Strömung dieser Auffassung war der Versuch, die Notwendigkeit der jüdischen Eigenart für das Wohlergehen der europäischen Gesellschaft zu begründen, indem man auf die Beiträge des Judentums und der jüdischen Philosophie zur europäischen Gesellschaft und auf das Potenzial hinwies, das sie zur Bewältigung der Herausforderungen ihrer Zeit boten. Eine dieser Herausforderungen betraf die Konzeption des Völkerrechts und das Ziel, den Weltfrieden zu sichern. Autoren wie Isaak Heinemann, Botho Laserstein, Eduard Bernstein und Isaak Breuer konzipierten das Völkerrecht und den Völkerbund auf der Grundlage von Kategorien und Begriffen aus dem jüdischen Recht und der jüdischen Philosophie neu. Das Projekt zeichnet den Einfluss dieser Werke auf junge jüdische Jurist:innen und deren rechtswissenschaftliche Arbeit zwischen 1914 und 1938 nach. Anhand einer Stichprobe aller im deutschsprachigen Raum durchgeführten Promotionsvorhaben zum Völkerrecht fragt das Projekt auch, wessen Gedankengut anschlussfähig genug war, um auf dem Gebiet des Völkerrechts auf akademischer und praktischer Ebene erfolgreich zu sein. Diejenigen, die auf nationaler akademischer Ebene scheiterten, aber auf internationaler Ebene erfolgreich waren, erzählen auch eine Geschichte über den Konservatismus im Denken der deutschen Rechtswissenschaften. Mit dem Blick auf vergessene und erfolgreiche Rechtswissenschaftler beleuchtet das Projekt den Prozess der Innovation und Evolution in der deutschen Rechtswissenschaft.