Die Verstaatlichung gerichtlicher Autorität
Konzepte, Wege, Erfolge und Niederlagen bourbonischer und habsburgischer Reformen im Italien des XVIII. Jahrhunderts
Promotionsvorhaben
Meine Dissertation untersucht, wie in zwei der größten italienischen Staaten des 18. Jahrhunderts - dem Königreich Neapel im Süden Italiens und dem Herzogtum Mailand im Norden der Halbinsel - die Herrscher im Prozess der Staatswerdung im modernen Sinne versuchten, die Gerichte stärker in ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu integrieren. Sie somit ihrer Autorität zu unterstellen. Im Italien der Frühen Neuzeit waren viele Gerichte - anders als heute - feudale, städtische, zünftische oder auch religiöse Institutionen, die ihre Autorität aus unterschiedlichen Quellen bezogen und in vielen Fällen dem Territorialfürsten entzogen waren. Ausgangspunkt der Untersuchung sollen konkrete Reformvorhaben sein, wie die Errichtung neuer oberster Gerichtshöfe wie der Real Camera di Santa Chiara 1735 in Neapel zur Bündelung und Ordnung aller Rechtsprechungskompetenzen unter königlicher Aufsicht oder die Reformversuche sowohl im Königreich Neapel als auch im Herzogtum Mailand zur Einschränkung der feudalen Gerichtsbarkeit und zur Neuordnung der lokalen Gerichtsstruktur. Von besonderem Interesse ist dabei, wo und wie sich die Reformversuche nicht durchsetzen konnten, d.h. andere Autoritäten fortbestanden. Dieses Fortbestehen, ggf. in modifizierter Form, kann verschiedene Formen annehmen: alte Institutionen können den Reformversuchen widerstehen oder sie setzen sich in neuen Institutionen fort.
Die bisherige Forschung auf diesem Gebiet hat die soeben beschriebene Entwicklung vor allem aus der Sicht der materiellen Rechtsquellen und der Methoden der Rechtsauslegung beleuchtet. Darüber hinaus wird die Epoche der sogenannten "aufgeklärten Reformen" in der italienischen und europäischen (rechts-)historischen Forschung häufig als notwendiges Übergangsstadium von einer mittelalterlichen Form der Territorialherrschaft zur Entstehung des modernen Nationalstaates im 19. Jahrhunderts dargestellt.
Demgegenüber soll meine Untersuchung einen stärker institutionellen Ansatz verfolgen und insbesondere der Frage nachgehen, wie neue Gerichte geschaffen, bestehende reformiert oder abgeschafft wurden und wie diese Gerichte organisiert und finanziert wurden. Die Auswahl und Darstellung des Materials orientiert sich dabei an der Theorie des Historischen Institutionalismus.
Mit Hilfe dieses theoretischen Rahmens und der Quellenforschung kann erreicht werden , dass weder der Herrscher als Initiator der Reformen als Repräsentant des Fortschritts und der Erneuerung noch die anderen gesellschaftlichen Akteure, die sich dieser Entwicklung widersetzten, als Verfechter alter, vielleicht überholter mittelalterlicher Vorstellungen von Herrschaftszersplitterung dargestellt werden. Auf diese Weise können Prozesse und Dynamiken über längere Zeiträume untersucht und analysiert werden, ohne in die Gefahr zu geraten, in eine Ex-post-Perspektive zu verfallen, die eine lineare Entwicklung an ihren Ergebnissen mit Begriffen misst, die erst im 19. Jahrhundert geprägt wurden.
Gleichzeitig soll die komparative Methode helfen, analytische Tiefe zu gewinnen, weshalb ein Vergleich zweier italienischer Territorien (Königreich Neapel-Sizilien und Herzogtum Mailand), die einst Teil des spanischen Weltreichs waren, vorgesehen ist.
Als Quellen werden vor allem Reformpläne, Dekrete und Erlasse der jeweiligen Monarchen und Exekutiven dienen, die sich auf die Gerichte und Richter beziehen. Für die Untersuchung der Umsetzung der genannten Reformen werde ich neben den Urteilen als Quelle auch andere Dokumente heranziehen, wie z.B. Berichte der Exekutivorgane, die als Bestandsaufnahme über die Umsetzung der Reformen angefertigt wurden, wissenschaftliche und literarische Schriften oder die Presse der Zeit zu diesem Thema.
Mein Dissertationsthema soll erstens einen rechtshistorischen Beitrag zur Frage des demokratischen Rechtsstaates in den ehemals spanisch beherrschten Gebieten Italiens leisten. Zweitens soll die Arbeit für eine rechtshistorische Reflexion über das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit relevant sein.